Young person'S guide to the chorus

– Autor unbekannt – 

Quelle: http://www.choralnet.org/resources/other/

Übersetzung aus dem Englischen von Silke Wiesemann

In jedem Chor gibt es vier Stimmen: Sopran, Alt, Tenor und Bass. Gelegentlich sind diese vier Stimmen nochmals unterteilt, was dann mitunter zu endlosen Witzen über erste und zweite Bässe führt. Es gibt auch noch andere Stimmbezeichnungen wie Bariton, Countertenor, Kontra-Alt, Mezzosopran usw.; diese Bezeichnungen tauchen aber normalerweise nur bei Solisten oder bei absolut hochkarätigen a-cappella-Ensembles auf (das gilt vor allem für die Countertenöre). Wenn sie sonst jemand verwendet, steht er (oder sie) im Verdacht, sich rausreden zu wollen, weil er (oder sie) offenbar in keine der vier regulären Stimmgruppen so richtig reinpasst. Vergessen wir das alles also erst einmal. 

Jede Stimme singt in einer ganz bestimmten Tonlage, und jede Stimme ist von einer eigenen individuellen Persönlichkeit geprägt. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie wohl das Singen in unterschiedlichen Tonlagen dazu führen kann, daß sich die Leute unterschiedlich gebärden, ist das eine verdammt gute Frage. Selbst die Wissenschaft hat noch keine richtige Erklärung für dieses Phänomen gefunden – vor allem auch deshalb, weil jeder Musikwissenschaftler selbst bis zum Hals in diesen komplizierten Verdrehtheiten steckt. Ein Musikwissenschaftler ist eben in der Regel nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Musiker: Tenor, Hornist, Kesselpauker oder sonstwas. 

Was uns aber jetzt ein wenig von Thema entfernt. Tatsache ist jedenfalls, daß die vier Stimmgruppen in einem Chor sehr leicht voneinander zu unterscheiden sind - wie, werde ich im folgenden näher ausführen. 



Der Sopran singt am höchsten.


Dieser Umstand veranlasst die Damen, sich für die Herrscherinnen des Himmels und der Erden zu halten. Ihre Haare sind die längsten im ganzen Chor, ihr Schmuck der auffallendste, ihre Kleider die schicksten. 

Sie fühlen sich persönlich beleidigt, wenn ein Komponist nicht spätestens in jedem zweiten Takt für sie ein hohes F geschrieben hat. Wenn sie die hohen Töne dann erreicht haben, halten sie sie mindestens doppelt so lang aus, wie der Komponist und/oder der Dirigent verlangt – nur um sich anschließend beschweren zu können, daß sie sich ihre Stimmen ruinieren und daß Komponist wie Dirigent Sadisten sind. 

Zu den anderen Stimmgruppen im Chor haben die Sopranistinnen recht unterschiedliche Einstellungen, aber eines haben sie in ihren Augen gemein: Sie sind untergeordnet. 

Das Verhältnis zwischen Sopran und Alt ist ungefähr so wie das zwischen ersten und zweiten Geigen: der Zusammenklang ist hübsch, aber überflüssig. Alle Sopranistinnen haben das unbestimmte Gefühl, dass sich die Altstimme getrost streichen ließe – das Stück klänge dann exakt genauso. Außerdem können sie sich nicht vorstellen, wie jemand Gefallen daran findet, andauernd in dieser für Soprangurgeln ziemlich tiefen Lage zu singen. Tödlich langweilig.

Im Gegensatz dazu empfinden sie die Gesellschaft von Tenören meistens als recht angenehm – nicht nur wegen der Möglichkeit, zu flirten (es ist allgemein bekannt, dass Soprane niemals mit Bässen flirten). Es ist für sie eben ein schneller Erfolg, sich im Duett mit dem Tenor in die höchsten Höhen zu schrauben, während die Herren nur mit höchster Anstrengung an die tiefe oder mittlere Sopranlage herankommen. 

Der Bass ist für den Sopran der Abschaum der Erde – er ist einfach verdammtnochmal zu laut. Und ein guter Zusammenklang mit dem Bass ist sowieso nutzlos, weil der diese grabestiefe Stimme hat. Außerdem: Wer freiwillig im F-Schlüssel singt, kann sowieso nicht alle Tassen im Schrank haben. (Aber obwohl Soprane nur in Ohnmacht fallen, wenn der Tenor singt, hindert sie das nicht daran, dann trotzdem mit einem Bass nach Hause zu gehen). 



Der Alt ist das Salz der Erde.


Zumindest glauben das die Altistinnen. Bescheiden und anspruchslos, wie sie sind, würden sie ein Konzert auch in Jeans singen. Wenn man sie nur ließe. Als einzige Stimmgruppe im Chor sind sie diejenigen, die sich nie über zu hohe oder zu tiefe Töne beschweren können. Sie wissen genau, dass alle anderen ihre Stimme grundsätzlich für die leichteste halten. Doch ein Alt weiß es besser. Ein Alt weiß, dass er rhythmisch und harmonisch verzwickte Melodielinien singen muss, in denen es nur so von Kreuzchen und B's wimmelt, während der Sopran stundenlang auf dem hohen A quietscht. Der Mühe Lohn ist dann, dass sie kaum gehört werden, weil der Sopran ständig zu laut singt (der Bass übrigens auch). Altistinnen empfinden tiefstes Wohlbehagen, wenn sie nach einem konspirativen Getuschel wieder einmal Mittel und Wege gefunden haben, die Intonation des Soprans nach unten zu ziehen. 

Gegenüber den Tenören haben sie ein natürliches Misstrauen. Tenöre singen schließlich in einer ganz ähnlichen Stimmlage, sind aber fest überzeugt, dass sie besser klingen. 

Den Bass hingegen mögen sie ganz gern, weil er so tief unter ihnen grummelt. Und im Duett mit dem Bass haben sie endlich mal die Chance, auch gehört zu werden. 

Außerdem haben die Altistinnen noch ein anderes echtes Problem: Sie sind immer so stark vertreten, daß sie nie so richtig laut singen dürfen. 



Tenöre sind durch die Bank weg verhätschelt.


Mehr wäre dazu kaum zu sagen. Das liegt hauptsächlich daran, dass es nie genug Tenöre gibt. Ein Chorleiter würde lieber seine Seele verkaufen, als einen auch nur halbwegs passablen Tenor gehen zu lassen (während er jederzeit gerne ein paar Altistinnen zum halben Preis verscherbeln würde). Und dann ist es aus unerfindlichen Gründen immer so, dass die wenigen vorhandenen Tenöre meistens gar nicht mal so schlecht sind – eine der Ungerechtigkeiten des Lebens. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass sich Tenöre immer gleich gebärden wie die Pfauen. Wer schafft es auch sonst, den Sopran in Ohnmacht fallen zu lassen?

Es gibt nur eine Sache, die Tenöre zutiefst verunsichert. Das sind die zweifelnden Äußerungen (vornehmlich vom Bass), dass jemand, der so hoch singt, unmöglich ein richtiger Mann sein kann. In seiner eigensinnigen Art würde ein Tenor das niemals zugeben, er beschwert sich nur um so lauter, dass der elende Sadist von Komponist ihn dazu zwingt, ständig so hoch singen zu müssen. 

Mit dem Dirigenten verbindet der Tenor eine Art Hassliebe. Der Dirigent will immer, dass der Tenor noch lauter singt, weil ja immer zu wenig Tenöre im Chor sind. Seit Beginn der musikgeschichtlichen Aufzeichnungen hat es noch nie einen Dirigenten gegeben, der in einer Forte-Passage den Tenor drosselt. 

Tenöre fühlen sich in irgendeiner Art von jeder anderen Stimme bedroht: Der Sopran erreicht diese verdammt hohen Töne. Der Alt singt immer noch spielend in der Tonlage, in der sich der Tenor beinahe schon selbst erwürgt. Und die Bässe – obwohl sie nicht über das E hinauskommen – sind laut genug, um den Tenor sang- und klanglos untergehen zu lassen. 

Selbstverständlich würde ein Tenor lieber sterben als seine Ängste einzugestehen. Es ist aber eine (zugegebenerweise nicht allzu bekannte) Tatsache, dass Tenöre während des Singens heftiger die Augenbrauen bewegen als alle anderen Stimmen. 



Die Bässe singen am tiefsten von allen.


Das erklärt eigentlich auch schon alles. Sie sind schwerfällige, grundsolide Leute mit einem besonders kräftigen Bartwuchs. Sie haben ständig das Gefühl, daß man sie nicht ausreichend beachtet, leben aber in der tiefen Überzeugung, ihre Stimme wäre die wichtigste im Chor (eine Ansicht, die von Musikwissenschaftlern, nicht aber vom Sopranen und Tenören geteilt wird). Und das, obwohl sie den langweiligsten Part überhaupt singen müssen: seitenweise denselben Ton oder endlose Quinten. Das kompensieren sie, indem sie so laut singen, wie man es ihnen durchgehen lässt. Die meisten Bässe sind im tiefsten Innern Tuba-Spieler. Sie sind natürlich die einzige Stimmgruppe, die sich über zu tiefe Töne beschweren kann. Deshalb verzerren sie das Gesicht auch immer zu einer fürchterlichen Grimasse, wenn sie diese tiefen Töne erreichen müssen. 

Bässe sind recht gutmütige Gesellen. Diese Gutmütigkeit reicht allerdings nie für den Tenor. Tenöre sind ausgemergelte Wichtigtuer. Es gibt nichts, was einem Bass mehr quer kommt, als im Duett mit dem Tenor zu singen. 

Hingegen mögen sie den Alt – außer im Duett, wo der Alt einfach die besseren Karten hat (s.o.). 

Der Sopran befindet sich aus Sicht der Bässe schlicht und ergreifend auf der anderen Seite der Erdkugel. Es ist einem Bass unbegreiflich, wie jemand so hoch singen kann und so erbärmlich klingt, wenn er falsch singt. Wenn ein Bass einen Fehler macht, wird das meistens von den anderen Stimmen überdeckt. Deshalb können die Bässe bei einem Patzer fröhlich weitermachen: sie wissen eben, dass sie irgendwann einmal irgendwie auf dem Grundton des Akkords ankommen werden.